Adventimpulse

Zwei Impulse zur Adventszeit.

 

Adventimpuls

 

Herzenswärme
Eine Engelsgeschichte von Angelika Wolff

Glasglitzergleißend funkelt die von einer harschen Schneekruste bedeckte Wiese im Sonnenlicht des Dezembertages. In kleinen Wölkchen gefriert der Atem vor Mund und Nase, doch Jonas kümmert das ebenso wenig wie die festlich geschmückten Häuser und der riesengroße Tannenbaum auf dem Marktplatz. Kein bisschen weihnachtlich ist ihm zumute!

Die Strickmütze tief in die Stirn gezogen und die Hände warm verpackt in den Handschuhen, bei deren Entstehen er im letzten Winter den flinken Fingern der Großmutter staunend zugesehen hatte, macht er sich auf den Weg.

Staunen wird sie, die Großmutter, wenn er sie ganz allein im Krankenhaus besucht! Und gemeinsam werden sie sich freuen aneinander, so wie sie es immer tun, und die Großmutter wird mit ihren sehnigen, abgearbeiteten Händen seine Kinderwangen streicheln, ganz zart, und doch wird er die Schwielen fühlen können und sich dennoch gerne an sie schmiegen.

Ach, wenn sie doch endlich nach Hause käme! Drei Wochen war sie nun schon fort, seit dem Sonntag, an dem die erste Kerze auf dem Adventskranz angezündet worden war. Manchmal hörte Jonas abends die Eltern mit sorgenvollen Gesichtern leise miteinander über die Großmutter sprechen, und wenn sie ihn sahen, hörten sie auf damit und versuchten, fröhlich auszusehen.

Jonas seufzt. Gemeinsam singen und Plätzchen backen so wie jedes Jahr im Advent und die schönen alten Geschichten hören, während Großmutters Stricknadeln emsig klappern, das wäre schön! Mutig schluckt er den Tränenkloß hinunter, atmet tief ein und betritt leise das Krankenzimmer 114.

Da liegt sie, im Bett am Fenster in ihrem Nachthemd, und ihre auf gelösten Haarflechten breiten sich auf dem Kopfkissen aus wie ein weißgoldener Strahlenkranz. So klein sieht sie aus, so zierlich; ihre Wangen sind rosig und um die geschlossenen Augen tanzen tausend Fältchen.

Wie ein kleiner alter Engel, denkt Jonas, der sich im Advent überanstrengt hat und sich nun dringend ausruhen muss. Vorsichtig legt er seine Hände auf die der Großmutter, die auf der Bettdecke ruhen, und erschrickt: Ganz kalt sind sie, und bläulich schimmern die Adern durch die pergamentdünne Haut. Sie friert, die Großmutter, sie friert! Das darf nicht sein, sie soll doch gesund werden! Schnell zieht Jonas seine gestrickten Fäustlinge aus der Jackentasche und streift sie vorsichtig über die alten kühlen Hände. Auch seine Mütze setzt er ihr unendlich sanft auf den Scheitel, und obenauf steckt er den Stern aus blaugoldenem Glanzpapier, den er in der Schule gemacht hat. Als er fertig ist, muss er doch ein bisschen lachen: Über den alten kleinen Engel vor ihm im Krankenbett, der statt Heiligenschein eine rotblau geringelte Mütze mit Bommel und Stern und an den Händen rote Fäustlinge trägt.

Da öffnet sie die Augen, ein Strahlen huscht über ihr Gesicht, als sie ihn sieht. Verwundert blickt sie auf ihre Hände und streckt sie nach ihm aus. Da bist du ja, Jonas, mein Engel, sagt sie, gerade habe ich von dir geträumt und mir war so warm ums Herz geworden, dass ich davon aufgewacht bin!

Selber Engel, sagt Jonas, auch ihm ist ganz leicht und warm ums Herz, und plötzlich kann er es wieder deutlich spüren, dieses unbeschreiblich schöne Gefühl, wenn Weihnachten ganz nahe ist.

Johannes Holzinger

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